Kostenlose Vampir-Kurzgeschichte

Hungriger Vampir ...

»Achtung, bissige Wettbewerber!«

Über die Warnung, die auf Dutzenden von Plakaten in blutroter Schrift prangte, konnte Deron nur müde lächeln. Schließlich wäre es eher verwunderlich gewesen, wenn seine Mitstreiter ohne Biss gewesen wären.

»Alle bereit?« Erwartungsvoll musterte das Dreigespann der Schatten die angetretenen Kämpfer, bevor ihre Blicke die unzähligen neugierigen Zuschauer streiften. Die Resonanz auf die ausgerufenen Spiele der Nacht war schon immer groß gewesen, aber dieses Jahr drängten sich noch weitaus mehr Teilnehmer und Schaulustige als üblich auf dem abgeschotteten Gelände einer uralten, halb zerfallenen Autofabrik.

Grund war der verlockende erste Preis – gab es doch kaum eine Frau, die so sehr begehrt wurde, wie die Tochter des obersten Herrn der Finsternis. Der war in dieser Nacht wohlweislich nicht erschienen, hatte dafür aber seine eingeschworensten Schatten als Vertreter und Richter zugleich entsandt. Nach einigem Hin und Her und der Klärung der grundlegendsten Fragen scheuchte das Dreigespann sämtliche Kandidaten in eine fensterlose Halle. In einer langen Reihe aufgestellt, wartete dort bereits die erste Herausforderung.

›Trink, bis du umfällst‹, lautete das Motto oder alternativ: ›Bis du nie wieder aufwachst‹. Denn so sehr sie die dunkelrote Flüssigkeit zum Leben benötigten, zu viel davon konnte ihren Organismus sehr wohl schaden.

»Pappbecher.« Verächtlich betrachtete Derons gedrungener, stämmiger Nachbar die gefüllten beigefarbenen Becher. »Das waren noch Zeiten, damals, als die ausgesaugten Körper hübscher menschlicher Jungfrauen gezählt wurden und nicht diese Öko-Behältnisse …«

Deron ließ den Kerl schimpfen und konzentrierte sich stattdessen auf den bevorstehenden Kampf. Und ein Kampf würde es in der Tat für ihn werden – der metallische Kupfergeschmack von Menschenblut war ihm nämlich zutiefst verhasst.

Ein halbes Jahr lang hatte er seinen Magen nun darauf trainiert, alles ihm Zugeführte auch ja in sich zu behalten. Es war ein ekelhafter Prozess gewesen, allerdings eine der notwendigen Voraussetzungen dafür, dass er überhaupt Zutritt zu den Spielen erhalten hatte. Schließlich durfte jeder Clan nur einen einzigen Wettbewerber entsenden und er, ein bekennender Einzelgänger, wäre im Normalfall bereits bei der Anmeldung mit einem höhnischen Lachen wieder davongejagt worden.

»Auf das Blut … fertig … los!«

Wie Verdurstende stürzten sich Derons Mitstreiter auf die Pappbecher und kaum einen Wimpernschlag, nachdem das Startsignal ertönt war, färbten sich die ersten bleichen Gesichter rot. Blutlachen am Boden und dunkle Sprenkel auf Kleidung und Tischen gesellten sich alsbald hinzu.

Obwohl sein Nebenmann – der tatsächlich aus zwei Bechern gleichzeitig trank – ihn skeptisch beäugte, so ließ sich Deron in seinem Tun keineswegs beirren. Statt auf Schnelligkeit setzte er auf Ausdauer und diese Methode sicherte ihm einen guten einundzwanzigsten Platz, nippte er doch immer noch an einer weiteren Ration des ekelhaften Getränks, als die meisten anderen Teilnehmer bereits völlig trunken und der Ohnmacht nahe in sich zusammen gesunken waren.

Derons Nachbar – er hieß Moore und gehörte dem in Chicago ansässigen Blackbones-Clan an, wie Deron mittlerweile erfahren hatte – konnte den Sieg in dieser Disziplin für sich beanspruchen. Damit schien der Vampir trotz des Mangels an menschlichen Jungfrauen ausgesprochen zufrieden zu sein.

»Keine schlechte Taktik«, bemerkte Moore wohlwollend, nachdem das Ergebnis verkündet worden war. »Schätze, ich werde dich im Auge behalten müssen.«

Deron nickte knapp, schlängelte sich dann aber hastig aus der Menge und zog sich in eine verwaiste Ecke der Fabrik zurück. Es wurde Zeit für seine nächste Pheromon-Spritze. Schade, dass das Zeug nicht länger als eine Stunde anhielt. Andererseits sollte er wohl dankbar dafür sein, dass es überhaupt funktionierte.

Noch ein letzter Blick in eine sich spiegelnde Metalloberfläche, eine letzte Überprüfung seines Gebisses, und schon war Deron wieder mitten im Gewusel. Hölle sei Dank würde das Spektakel nächstes Jahr wieder ohne ihn stattfinden. An einem ehrenhaften Kampf Mann gegen Mann – oder auch Mann gegen eine gesamte Armee – hatte er ja gar nichts auszusetzen. Aber dieses proletenhafte Gegaffe, Gegröle und Gezänk hier, das zerrte arg an seinen Nerven. Von dem dauernden Betatschen ganz zu schweigen!

Ungehalten schob Deron die Hand einer Vampirin von sich, die gerade sehnsüchtig über seine Oberarmmuskeln gestrichen hatte.

»Findest du mich denn nicht attraktiv genug?« Rote, von langen Wimpern gerahmte Augen gierten nach mehr, gierten nach seinem Blut, das so viel nahrhafter und euphorisierender war als jenes der Menschen.

Deron knurrte und unterdrückte eine beleidigende Antwort, die beschrieb, was er von Frauen hielt, die sich einfach jedem an den Hals warfen.

»Ihr kennt doch die Regeln, Süße.« Ein Kerl mit der Statur eines zweiflügligen Kühlschranks trat neben Deron und hob grinsend seinen Zeigefinger in die Höhe. »Das Spaßigste darf erst nach dem Wettbewerb stattfinden.«

»Ja, Hector.« Kichernd trat die Vampirin zurück in den Kreis ihrer ebenfalls kichernden Freundinnen. »Wir hören ja schon auf damit, euch abzulenken.«

Der Riese grinste noch breiter und signalisierte mit einer anzüglichen Geste, dass er in ein paar Stunden gewiss nichts mehr gegen jegliche Form von Ablenkung einzuwenden hätte. Dann streckte er die Hand in Derons Richtung aus.

»Hector«, stellte er sich vor. »Von den kalifornischen Night Hawks. Und das hier ist -« Er zeigte auf den stämmigen Typen hinter sich.

»Moore. Wir kennen uns bereits.« Deron nickte dem Genannten einmal kurz zu und ergriff Hectors gigantische Pranke.

»Ich habe dich noch nie bei den Spielen gesehen. Oder irgendwo sonst.« Hector musterte ihn durchdringend, doch Deron konnte mit Stolz von sich behaupten, dass er völlig gelassen auf die unausgesprochene Frage reagierte.

»Ich bin in Europa aufgewachsen und war in den letzten Jahren ziemlich beschäftigt. Ihr wisst schon, Budapest, die Jäger, die vielen Toten …«

Sofort verfinsterte sich Hectors Miene. Das Massaker, das menschliche Vampirjäger in Budapest angerichtet hatten, war den amerikanischen Clans eine ernstzunehmende Warnung gewesen, ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen drastisch zu erhöhen.

So viele von ihrer Art gab es schließlich nicht mehr, als dass sie es sich hätten erlauben können, ihre fähigsten Krieger und die letzte Hundertschaft ihrer reinsten Frauen an mordenden Abschaum zu verlieren.

Um die Verwässerung der Blutlinien und die damit verbundene Schwächung ihrer vampirischen Fähigkeiten – wie zum Beispiel eine kaum vorhandene Alterung, übermenschliche Stärke, eine immense Sehkraft und einen exzellenten Geruchs- und Gehörsinn – aufzuhalten, genossen reinrassige Vampirinnen den allerhöchsten Schutz. Eine von ihnen wurde jedes Jahr für den Sieger der Spiele der Nacht ausgelost und dreiunddreißig Jahre lang konnte der glückliche Erste dann die entsprechende Vampirdame für sich und seinen Clan beanspruchen. Sämtliche Kinder, die aus dieser Verbindung hervorgingen, verblieben automatisch unter seiner Obhut.

Eine bessere Sicherung für die Zukunft konnte es gar nicht mehr geben, denn dass Vampire Menschen ebenfalls in Vampire verwandeln und dadurch ihren Clan erhalten oder gar vergrößen konnten, war lediglich ein dummes Gerücht.

Die ersten Vampire waren vor zehntausenden von Jahren nur zufällig aufgrund einer Genmutation entstanden. Jedenfalls war das die Erklärung, der Deron als Atheist noch am meisten Glauben schenkte. Die Spezies der Vampire und jeder der Menschen hatten sich im Laufe der Zeit soweit auseinanderentwickelt, dass es heutzutage völlig ausgeschlossen war, untereinander Nachkommen zu zeugen.

Was die reinrassigen Vampirinnen nur umso wichtiger machte. Nach ihrer Entlassung aus der Obhut eines Siegers wurden den Frauen sechsundsechzig immune Jahre gewährt, in denen sie wie Königinnen verehrt wurden und sich so gut wie alles erlauben durften, sofern sie sich dadurch nicht in Gefahr brachten. Anschließend, im Jahre einhundert, startete für sie dann alles wieder von vorne.

So lautete das uralte Gesetz, an das sich selbst der Herr der Finsternis gebunden sah. Lediglich die Anzahl der reinrassigen Vampirinnen hatte sich über die Jahrtausende hinweg stark verringert, das Prinzip war jedoch stets das Gleiche geblieben. Leider …

»Hey, Mann, träumst du?« Hector schnippte ungeduldig gegen Derons Schulter, während Moore spöttisch die Lippen verzog.

»Ich weiß, von wem er träumt. Das kannst du allerdings gleich wieder abhaken, Kumpel. Prinzessin Nyla ist bereits für mich reserviert! Aber Kopf hoch, die Gewinne für die Plätze Zwei bis Zehn sind ja auch nicht zu verachten.«

Titel, Diener, Geld, ein größeres Clanareal … – Deron schüttelte nur stumm den Kopf, all das bedeutete ihm nichts.

»Die nächste Wettkampfrunde startet in Kürze«, verkündete das Dreigespann der Schatten. »Alle Teilnehmer begeben sich bitte jetzt an ihre Plätze!«

Zusammen mit Moore, Hector und den anderen folgte Deron der Aufforderung und gleich darauf ertönte auch schon das Startkommando.

»Achtung … Fertig … Stanzen!«

Stanzen war eine Disziplin, die auf enormes Geschick setzte und keineswegs so simpel war, wie es vielleicht zunächst den Anschein haben mochte. Vor allem nicht, wenn man vor lauter menschlichem Blut im Kreislauf sowieso schon ganz bedeppert war. Dann noch mit spitzen Eckzähnen verschlungene Symbole in Pappkarten perforieren zu müssen, welche das Dreigespann der Schatten im Rekordtempo vorgab, war echt kein Genuss.

Schon kurz nach Beginn des Wettkampfes stöhnte Moore unwillig auf. »Wisst ihr, das waren noch Zeiten, damals, als die perforierten Körper hübscher menschlicher Jungfrauen bewertet wurden und nicht diese Öko-Karten …«

Hector nuschelte eine Zustimmung und spuckte ein aufgeweichtes Stück Karton auf den Boden. Deron spuckte ebenfalls aus. Nach einer knappen Viertelstunde hatte er es nicht nur geschafft, sich selbst das Innere der Wange blutig zu beißen, sondern auch, mit seinen ausgestanzten Gemälden einen ausgezeichneten vierten Platz zu erringen.

»Glaube ja nicht, dass das irgendetwas zu bedeuten hat!« Moores Laune war ins Unterirdische gefallen, schließlich hatte er von allen Kämpfern – oder jedenfalls von denen, die es überhaupt geschafft hatten, sich zur zweiten Wettkampfrunde einzufinden – am schlechtesten abgeschnitten.

»Hättest eben etwas weniger saufen sollen.« Hector feixte und zeigte keinerlei Mitleid mit seinem gefrusteten Freund. Womöglich war das aber auch schon der Vorfreude für die nächste Disziplin, Armdrücken, geschuldet, für die Typen wie Hector geradezu geschaffen zu sein schienen.

Deron zog sich erneut für eine Pheromon-Spritze zurück und fand sich anschließend wieder bei seinen beiden neuen Bekannten ein.

Hector hatte offenbar mitbekommen, was er trieb, und begrüßte ihn mit einem Lachen, das Deron an das Donnern einer Berglawine erinnerte. »Du spritzt dir etwas? Denkst du wirklich, dass so ein bisschen künstliches Gepushe deine natürlichen Kräfte ansteigen lässt? Ey, Mann, du hast sie ja nicht mehr alle!«

Moore zeigte sich da schon deutlich interessierter. »Wirkt das Zeug denn?«

Scheiße!, fluchte Deron im Stillen. Wie sollte er sich aus dieser verzwickten Situation nur wieder herausmanövrieren? Kurzerhand reichte er Moore scheinbar großzügig eine seiner verbliebenen Spritzen. »Du kannst es gerne ausprobieren. Soll sich allerdings nicht besonders gut mit Kopfschmerzen vertragen …«

Doping war innerhalb des Wettbewerbs keineswegs verboten und es gab viele Kandidaten, die auf die verschiedensten Mittelchen schworen – Stimulanzien, Anabolika, Morphin und viele mehr. Nur von seiner Wahl wäre so gar kein Teilnehmer begeistert, da war sich Deron hundertprozentig sicher.

Zum Glück winkte Moore nun doch ab. »Mhm, lass mal gut sein, mein Schädel dröhnt bereits genug.«

Die Wettkampfrunde startete und es war kaum verwunderlich, dass Hector das Armdrücken mit großem Abstand gewann. Deron konnte jedoch ebenfalls den ein oder anderen überraschten Gegner für sich verbuchen. Er hatte einen eher athletischen Körperbau und war gewiss kein Bodybuilder. Allerdings konnte selbst bei diesem profanen Kräftemessen eine gute Strategie durchaus den Ausschlag geben. Den Ellenbogen ein paar Millimeter weiter nach links oder rechts verschoben, das Handgelenk stärker oder weniger abgeknickt und im entscheidenden Moment eine Nuance nachgegeben, um gleich darauf mit doppelter Kraft zurückzudrücken – prompt rangierte man auf einem netten Platz Zehn.

Moore schüttelte fassungslos den Kopf, war er selbst doch auch nur an neunter Stelle gelandet.

»Neue Disziplin, neues Glück.«

Hector schlug ihnen grinsend die riesigen Pranken in den Rücken und dirigierte sie raus ins freie Gelände.

Die Verbreitung furchteinflößender Schwingungen stand nun auf dem Plan und den verstörten Gesichtern einiger Zuschauer nach zu urteilen, hatte der Wettkampf bereits begonnen.

»Ach wisst ihr, das waren noch Zeiten, damals, als die leergefegten Städte der Menschen gezählt wurden und nicht die Reaktion dieser Öko-Freaks …« Moore deutete schmollend auf eine Gruppe von schlotternden, langhaarigen Vampiren in sackähnlichen Klamotten und Hector schnaubte amüsiert auf.

Deron hingegen versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr auch er von dem beeinflusst wurde, was jeder Vampir prinzipiell vermochte, wenngleich in völlig unterschiedlicher Ausprägung.

Nicht immer steckte ein Wesen der Nacht dahinter, wenn es einem aus unerklärlichem Grund plötzlich kalt den Rücken hinunterlief oder man seine Schritte beschleunigte, weil man jäh in der Dunkelheit einen Verfolger hinter sich wähnte. Manchmal war es allerdings doch ein Vampir, der von der finsteren Macht in seinem Innersten Gebrauch machte, vor der weder ein Angehöriger seiner eigenen Art noch ein Mensch gefeit war.

Für alles, was über das Wappnen gegen diese unsichtbare Macht hinaus zu tun war, hatte Deron in den vergangenen Wochen bereits ausreichend vorgesorgt. Mit einer kurzen Bestätigung auf seinem Smartphone öffneten sich die elektronischen Schlösser wohl platzierter Käfige und eine Schar der meist verhasstesten Gestalten dieser Welt stürzte sich unter wütendem Gebrüll auf alles, was in ihrer Nähe kreuchte und fleuchte.

Die panischen Schreie der Öko-Freaks und viele weitere entsetzte Rufe bewiesen, wie ausgesprochen erfolgreich Derons Herangehensweise in dieser Disziplin war.

»Jäger.« Hector warf sich zornbebend in den Kampf. Eine Dolchklinge blitzte für eine einzelne Sekunde im hellen Mondlicht auf, bevor er sie tief in ein menschliches Herz trieb. Auch Moore beteiligte sich an der Tötung der Jäger, die trotz ihres kämpferischen Geschicks aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit keine Chance hatten, größeres Unheil unter den Vampiren anzurichten.

Bald fanden Hector, Moore und weitere Mitkämpfer zum Eingang der Fabrikhalle zurück, wo sie nicht ohne Stolz ihre Klingen vom Blut sauberwischten und berichteten, dass sich die Sache mit den Eindringlingen erledigt habe.

»Danke für dieses Vergnügen, Deron. Wisst ihr, das war wie in den alten Zeiten, wie damals, als -«

»Ja.« Hector unterbrach seinen Freund mit einem ungeduldigen Winken. »Ich frage mich ja nur, warum du zu einem solchen Trick gegriffen hast.«

Argwöhnisch fixierte er Deron, doch Moore lenkte das Gespräch dankenswerterweise rasch in eine ungefährlichere Richtung. »Mich interessiert ja eher, wie die …« Er zeigte auf das Dreigespann der Schatten. »Das ganze Chaos nun bewerten wollen!«

Tatsächlich waren die Vertrauten des Herrn der Finsternis in eine angeregte Diskussion vertieft, die noch etliche Minuten lang anhielt. Dann verkündeten sie hochtrabend das Ergebnis. Da es nur um die Verbreitung von Furcht gegangen war – wenn auch zugegebenermaßen gedacht durch die Aktivierung vampirischer Kräfte anstatt durch die Freilassung ihrer schlimmsten Feinde -, standen sie Deron missmutig den zweiten Platz in dieser Disziplin zu.

»Unglaublich«, murmelte Hector kopfschüttelnd.

Den nächsten Wettkampf – ein Praxistest zum Beweis der Fertigkeiten im Umgang mit Dolch oder Messer – erklärten die Schatten für ebenfalls abgeschlossen. Moore, der es als Einziger geschafft hatte, gleich vier der Jäger auszuschalten, wurde zum strahlenden Gewinner gekürt. Damit lag er nun, trotz seiner Niederlage im Lochstanzen, nahezu uneinholbar vorne.

Nur der Meister in der letzten und punktstärksten gewichteten Disziplin konnte ihm noch gefährlich werden.

Der Meister der Täuschungen und Lügen.

Die Geschichten, die von den Kandidaten nun nach und nach vorgetragen wurden, hatten es wahrlich in sich. Dem einen war es gelungen, sich als Abgeordneter eines nicht existierten Staates in den Senat der Vereinten Nationen einzuschleichen, ein anderer wiederum hatte den Vorsitz einer Stiftung für blutkranke Menschen ergattern können.

Was für ein Spaßvogel …

Moore und Hector hatten sich zusammengeschlossen und erzählten, wie sie einen ranghohen Diener des Herrn der Finsternis höchstpersönlich aufs Kreuz gelegt hatten. Die Details ihrer Aktion wurden leider ausgespart, aber das Dreigespann der Schatten bestätigte die Story und obendrein präsentierten sie die zerfetzten und gepfählten Überreste des armen Kerls, der so dämlich gewesen war, sich überlisten zu lassen. Sich den Unmut des Herrn der Finsternis zuzuziehen und womöglich selbst als Schaschlik am Spieß zu enden, wollten die anderen Wettkampfteilnehmer verständlicherweise vermeiden, aber der tollkühne Coup wurde dennoch gewürdigt – Moore und Hector führten.

»Pech gehabt, Kleiner!« Hector boxte Deron großspurig auf den Arm. Als Deron selbst an der Reihe war, schritt er langsam die Stufen zum Podium empor. Oben angekommen, drückte er als erstes einem der Schatten seine letzte verbliebene Pheromon-Spritze in die Hand, der den Inhalt sofort als das identifizierte, was es war – ein ausdünstungsveränderndes Tarnmittel, erschaffen von den Jägern, um sich unerkannt unter den feinen Spürnasen der Vampire bewegen zu können. Ein Mittelchen, das so kostbar und instabil war, dass es bisher noch keinem einzigen Vampir gelungen war, eine brauchbare Probe davon in die Finger zu bekommen. Tja, Deron hatte es geschafft.

Ein Raunen glitt durch die Menge, zweifellos konnte er mit dieser Trophäe mit der Tat von Moore und Hector mithalten. Deron musste allerdings nicht nur mithalten können, er musste sie übertrumpfen. Er musste sie alle übertrumpfen. Und so fummelte er als nächstes in seinem Mund herum. Endlich bekam er die Beißerchen richtig zu fassen und mit einem kräftigen Ruck löste er die spitzen Eckzähne aus seinem Gebiss.

Das Raunen der Menge verstummte und wich einer explosiven Stille.

»Scheiße! Er ist ein Mensch!« Keine Ahnung, wer aus dem Getümmel es schließlich zuerst aussprach, aber bald schon ertönte es aus allen Kehlen.

»Ein Mensch, ein Mensch, ein Mensch …«

Deron wusste, welches Risiko er einging und nur der unmittelbaren Nähe des Dreigespanns der Schatten hatte er es zu verdanken, dass er nicht sofort gelyncht wurde. Bevor die Schatten nicht ihr Urteil verkündeten, wagte es niemand, ihn anzugreifen.

Je länger die drei schwiegen, desto mehr brodelte es jedoch im Publikum.

»Verrat!«

»Tötet ihn -«

»Genug jetzt.« Der Anführer des Dreigespanns hob die Hand und sofort herrschte wieder Ruhe. Augen, die von der tiefsten Hölle kündeten, taxierten Derons Gesicht.

»Deine Lüge grenzt an Perfektion und genau das erwarten wir von einem Geschöpf der Nacht«, erklärte der Vampir mit Eiseskälte in der Stimme. »Deron, du hast dich für würdig erwiesen. In der Disziplin der Täuschung und ebenso den gesamten Wettstreit betreffend. Von daher …«

Wenn man ganz genau hinsah, konnte man ein leichtes Zucken der Mundwinkel des Schattens feststellen. Vielleicht war es aber auch nur dem schummrigen Licht innerhalb der Fabrikhalle geschuldet.

»Geh! Ich denke, du weißt, wohin. Mensch.«

Welch eine ironische Betonung auf dem letzten Wort … Aber ja, Deron wusste genau, wohin sein nächster Weg ihn führen würde.

Die spürbare Autorität des Dreigestirns teilte die Menge und trotz des Geknurres und Gefauches auf beiden Seiten, senkte Deron nicht den Blick, als er auf den Ausgang zumarschierte.

»Glaub ja nicht, dass wir dich nicht finden werden!« Moore hatte sich neben der Tür positioniert und seine Augen blitzen vor Zorn auf, während Hector drohend die Arme vor der Brust verschränkt hielt. »Und wenn es soweit ist, dreistes, kleines Menschlein, wirst du erleben, was es bedeutet, den Hass des gesamten Vampirvolkes zu spüren zu bekommen!«

Deron konnte sich nicht mehr länger beherrschen. »Nun, sieh es doch einmal so, Moore, die Gewinne für die Plätze Zwei bis Zehn sind ebenfalls nicht zu verachten …«

Moores Faust schnellte zielsicher nach vorne, knallte allerdings gegen ein unsichtbares Hindernis. Ein nur zu vertrautes Kitzeln in Derons Nacken verriet ihm, dass er es mit seinen Provokationen nicht zu weit treiben sollte. Er wandte den Kopf und signalisierte dem Dreigestirn der Schatten mit einem knappen Nicken, er habe verstanden. Ihrer Macht sollte man sich tunlichst nicht widersetzen.

Ohne weitere Verzögerung verließ Deron das Austragungsgelände. Auf seinen üblichen Schleichwegen gelangte er schließlich in den Palast des Herrn der Finsternis. Bevor er die entscheidende letzte Türschwelle überquerte, stoppte er und fixierte ein schwarz verhangenes Flurfenster.

»Ich habe dich bei unserer ersten Begegnung offenbar unterschätzt.« Ein uralter Vampir trat zwischen den dunklen Stoffbahnen hervor, das Gesicht von einem tiefen Stirnrunzeln gezeichnet. »Diese Narren haben dir tatsächlich geglaubt?«

Deron nickte und verbeugte sich tief. »Danke«, flüsterte er kaum wahrnehmbar, aber die Ohren des Herrn der Finsternis waren natürlich ungleich besser als seine eigenen.

»Wir sind noch nicht fertig miteinander«, kam die ruhige Erwiderung seines Gegenübers. »Du schuldest mir etwas!«

Wieder nickte Deron, doch dann wandte er sich ab und setzte seinen Weg fort. Nyla saß auf dem Rande ihres Himmelbetts und hatte die Hände sittsam in ihrem Schoß gefaltet. Dicht an ihrer Seite, allerdings ohne sie zu berühren, ließ sich Deron auf den weichen Laken nieder.

»Du hast es geschafft.« Ein Zittern durchfuhr Nylas gesamten Körper. »Jedenfalls, für dieses Mal …«

»Ach, weißt du …« Deron griff nach einer von Nylas langen Haarsträhnen und wickelte sie sich neckisch um den Finger. »Menschen denken nicht in Zeitspannen von hunderten Jahren.«

»Wirklich sehr witzig!« Aufgebracht riss Nyla sich los, aber nur einen einzigen Moment später presste sie sich umso stärker gegen seine Brust. Sie schloss ihre wunderschönen nachtschwarzen Augen. »Bitte, Deron, sage mir -«

»Nie.« Derons Lippen fuhren zärtlich über Nylas Stirn. »Niemals wird dich ein anderer besitzen! Weder heute noch in hundert Jahren oder in tausend. Ich werde jeden Wettstreit um dich gewinnen. Für immer!«

Nyla lächelte und die Angst wich endlich aus ihrer Miene. »Worauf wartest du dann noch?«, erkundigte sie sich mit einem lasziven Augenaufschlag.

Einer solchen Aufforderung konnte Deron unmöglich widerstehen. Vorsichtig strich er die Haare seiner Geliebten zur Seite. Und dann versenkte er die Zähne tief in ihrem Hals.

© Karin Kratt

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